Half-baked decision
THC als unzulässiger Bezugsmaßstab der „nicht geringen Menge“
Kaum in Kraft getreten, beschäftigt das neue Konsumcannabisgesetz (KCanG) bereits den BGH. In der Entscheidung (BGH 1 StR 106/24) überträgt der Gerichtshof sein zum Betäubungsmittelgesetz entwickeltes Begriffsverständnis zur „nicht geringen Menge“ (7,5 g THC) pauschal auf die wortgleiche Neuregelung in § 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 KCanG. Damit schlägt der BGH nicht nur formell, kriminalpolitisch und strafrechtsdogmatisch hohe Wellen (hier, hier und hier), er manövriert sich auch in verfassungswidrige Gewässer: Heikel ist bereits, dass der BGH der Gesetzesbegründung zum KCanG bewusst widerspricht, wonach der Grenzwert der „nicht geringen Menge“ deutlich höher liegen sollte als in der Vergangenheit (BT-Drucks. 20/8704, S. 132). Den Grenzwert pauschal auf die neue gesetzliche Regelung zu übertragen, stellt jedenfalls eine nach Art. 103 Abs. 2 GG unzulässige Analogie dar und überschreitet damit die Grenze zulässiger Auslegung im Strafrecht. Denn eine nicht geringe Menge THC kann nicht mit einer nicht geringen Menge Cannabispflanzen, um deren Besitz es in der Entscheidung ging, gleichgesetzt werden.
Besitz einer Indoor Plantage als Strafschärfungsgrund
Der Entscheidung des BGH lag die erstinstanzliche Verurteilung zweier Angeklagter zugrunde, die als Gärtner in einer Indoor-Marihuanaplantage tätig waren. Allein bei der Durchsuchung wurden über „1.763 Cannabispflanzen mit mindestens 160 kg Marihuana und mit einer Gesamtmenge von 22.105 g THC“ sichergestellt. Das Landgericht sah hierin u. a. einen strafbaren Besitz von mehr als drei lebenden Cannabispflanzen (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 lit. c i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 KCanG). Dies blieb vom BGH unbeanstandet. Er hob aber den Rechtsfolgenausspruch auf und gelangte zur Annahme eines besonders schweren Falles nach § 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 KCanG, da sich die Tat auf eine „nicht geringe Menge“ bezogen habe. Statt dabei auf die 1.763 Cannabispflanzen abzustellen (sprachlich unproblematisch eine „nicht geringe Menge“), begründete der BGH dies mit der Überschreitung eines Grenzwertes von 7,5 g THC – wie in der zu § 29a Abs. 1 Nr. 2 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) ergangenen Rechtsprechung.
Der besonders schwere Fall und das Analogieverbot
Bei der Vorschrift über einen besonders schweren Fall, § 34 Abs. 3 S. 1 KCanG, handelt es sich um eine Strafzumessungsvorschrift. Sie ermöglich es dem Tatgericht, den Standard-Strafrahmen von Geldstrafe und Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren (nach § 34 Abs. 1 KCanG) auf eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren anzuheben. Dabei ist der höhere Strafrahmen „in der Regel“ heranzuziehen, wenn eines der in § 34 Abs. 3 S. 2 KCanG genannten Regelbeispiele erfüllt ist.
Das Analogieverbot greift nach überwiegender Ansicht auch bei Strafzumessungsvorschriften ein, soweit die Strafgerichte zur Anhebung von Strafrahmen auf die vom Gesetzgeber benannten Regelbeispiele zurückgreifen.1) Das Analogieverbot bindet den Richter strikt an das Gesetz und verbietet ihm, eine Sanktionsvorschrift auf einen Sachverhalt anzuwenden, der von ihr nicht mehr erfasst wird.2) Es handelt sich dabei um das Komplement zum Bestimmtheitsgebot, das den Gesetzgeber bindet, wenn er neue Strafvorschriften schafft.
Die Grenze zwischen noch zulässiger Auslegung und verbotener Analogie markiert der noch mögliche Wortsinn des Gesetzes.3) Als Bezugsrahmen für die Analyse des Wortsinns ist der Kontext, in den die auszulegenden Begriffe eingebettet sind, von entscheidender Bedeutung.4) Dies gilt gerade für Begriffe zu Quantifizierungen (z. B. Menge, Gewicht, Volumen), denen für sich genommen keine spezifische Bedeutung entnommen werden kann. Bei ihnen ergibt sich ein nachvollziehbares Bedeutungssubstrat stets nur in Relation zu ihrem jeweiligen Bezugsobjekt (z. B. Menge an…). Ihre Bedeutung ist daher umso mehr von ihrem Einsatzbereich abhängig.
„Nicht geringe Menge“ im KCanG
Zum Kontext der Auslegung der „nicht geringen Menge“ in § 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 KCanG zählt das Grunddelikt in § 34 Abs. 1 KCanG, auf das die Strafzumessungsregel verweist und strafrechtsdogmatisch zwingend Bezug nimmt.
Die „Tat nach Absatz 1“ sieht aber viele verschiedene Tatmodalitäten vor. Insgesamt enthält § 34 Abs. 1 KCanG ganze 16 Tatvarianten, die ihrerseits zum Teil mit Subvarianten versehen sind. Je nachdem welche Tatvariante aus Absatz 1 in Rede steht, stellt das Gesetz an die Tathandlung und an das hierauf bezogene Tatobjekt (Cannabis, Blüten, blütennahe Blätter, Cannabispflazen, Cannabinoide) unterschiedliche Anforderungen. Die nicht geringe Menge ist daher nicht pauschal, sondern vielmehr bezogen auf das jeweilige Tatobjekt zu bestimmen.
In dem vom BGH entschiedenen Fall ging es wie gesagt um den Straftatbestand des § 34 Abs. 1 Nr. 1 lit. c) KCanG, der den Besitz von „mehr als drei lebenden Cannabispflanzen“ erfordert. Diese Tatbestandsvariante sieht bereits selbst explizit eine Mengenbeschreibung („mehr als drei“) näher bezeichneter Tatobjekte („Cannabispflanzen“) vor, um die erlaubte von der inkriminierten Menge zu unterscheiden. Aufgrund der normtextlichen Anknüpfung des § 34 Abs. 1 KCanG an präzisierte Tatobjekte in den verschiedenten Tatvarianten, wird das zulässige Auslegungsspektrum begrifflich und differenzierend stark eingeengt. Darin liegt der wesentliche Unterschied zu § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, der dieses Spektrum des Bezugsmaßstabs der „Menge“ über die Bezugnahme auf „Betäubungsmittel“ denkbar weit zieht (vgl. § 1 I BtMG iVm Anlage I bis III ).
Besitz „nicht geringer Menge“ Cannabispflanzen nötig
Hieraus folgt: Im Kontext des Straftatbestandes des Besitzes von mehr als drei Cannabispflanzen (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 lit. c) KCanG) wird das Bezugsobjekt der vom Regelbeispiel (§ 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 KCanG) geforderten „nicht geringen Menge“ – sprachlich zwingend – auf „Cannabispflanzen“ beschränkt.
Außerdem würde wegen des Erfordernisses einer bestimmten Menge in § 34 Abs. 1 KCanG ein genereller Rückgriff auf die THC-Menge den Wortsinn der „nicht geringen Menge“ in § 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 KCanG überschreiten, weil sich die Begrifflichkeiten unterscheiden und nicht konvergent verwendet werden können (z. B. THC ≠ Cannabispflanze). Auch deshalb funktioniert die pauschale Übertragung, die der BGH vom BtMG auf das KCanG vornimmt, nicht.
Schließlich kann eine Menge THC nicht pars pro toto zur Beschreibung einer Menge von Cannabispflanzen herangezogen werden, weil es an einem Umrechnungsmaßstab fehlt (wieviel THC enthält denn eine Cannabispflanze?). Kurzum: Erfordert Abs. 1 eine Menge an Cannabispflanzen, muss es auch bei der „nicht geringen Menge“ in Abs. 3 Nr. 4 zwingend um eine bestimmte Menge an Cannabispflanzen gehen.
„Nicht geringe Menge“ und weitere Tatmodalitäten
Die BGH-Rechtsprechung führt überdies beim Straftatbestand des § 34 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) KCanG zu sprachlichen Inkongruenzen, die einen Verstoß gegen das Analogieverbot begründen. Auch hier kann in sprachlicher Hinsicht THC nicht als Referenz für eine nicht geringe Menge dienen, wenn die Tatmodalität eine Strafbarkeit beim Besitz von „mehr als 60 Gramm Cannabis, bei Blüten, blütennahen Blättern oder sonstigem Pflanzenmaterial der Cannabispflanze bezogen auf das Gewicht nach dem Trocknen“ ansetzt. Die nicht geringe Menge muss hier – nach den vom Gesetzeswortlaut angestellten begrifflichen Interdependenzen – eine nicht geringe Menge an Trockengewicht sein.
Die durch den BGH betriebene Auslegung führt im Rahmen des § 34 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) KCanG zu geradezu perplexen Ergebnissen: Bei einem Bezugsobjekt von „mehr als 60 Gramm Cannabis“ könnte die „nicht geringe Menge“ sprachlich Konstellationen erfassen, die unterhalb der Strafbarkeitsschwelle „60 Gramm“ und damit unterhalb der Mengenangabe des Bezugsobjekts liegen. Bei den vom BGH geforderten 7,5 g THC könnten bereits 55 g Cannabis bei dem im konkreten Fall vorgefundenen Wirkstoffgehalt von 13,81 % eine „nicht geringe Menge“ von „mehr als 60 Gramm Cannabis“ darstellen (7,6 Gramm THC). Dies ist ungeachtet der systematischen Widersprüche bereits sprachlich nicht vermittelbar.
Stellt man sich weiterhin einen Fall vor, in dem der Täter den Straftatbestand des § 34 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) KCanG mit 61 g Cannabis verwirklicht, wäre auch das Regelbeispiel der nicht geringen Menge nach § 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 KCanG erfüllt, obwohl der Täter das Grunddelikt gerade so und damit die Schwelle zur Strafbarkeit nur leicht übertreten hat. Dies wäre nämlich dann der Fall, wenn die sich in seinem Besitz befindlichen 61 Gramm Cannabis den durchschnittlichen THC-Wirkstoffgehalt von 14 % (8,54 g THC) oder den vom BGH im konkreten Fall vorgefundenen Wirkstoffgehalt von 13,81 % (8,42 g THC) aufweisen. In beiden Fällen würde der vom BGH geforderte THC-Gehalt von 7,5 g überschritten. Der Mengenbezug auf das THC wirkt sich zu Lasten des Täters aus, da er zu einer Anhebung des Strafrahmens führen kann. Er stellt daher eine unzulässige Analogie dar.
Dieselben sprachlichen Friktionen würden sich in Fällen ergeben, in denen weitere Tatmodalitäten in Rede stehen, nämlich die in § 34 Abs. 1 Nr. 1-12, 14-16 KCanG geregelten. Lediglich bei dem Straftatbestand des § 34 Abs. 1 Nr. 13 KCanG würde die Auslegung des Begriffs „nicht geringe Menge“ anhand des THC-Gehalts nicht mit dem Bezugsobjekt „Cannabinoid“ in Konflikt geraten, da es sich hierbei sprachlich um konvergente Begrifflichkeiten handelt.
Konsequenzen für die Strafrechtspraxis
Die durch den BGH gewählte Auslegung stellt einen Verstoß gegen das Analogieverbot dar und zeigt, dass auch im Ergebnis eindeutige Fälle zu einer unzulässigen Maßstabsbildung führen können. In dem der Entscheidung des BGH zugrundeliegenden Fall wird es keine nachhaltigen Folgen nach sich ziehen, den Verstoß zu rügen. Beim Vorfinden einer gesamten Plantage von Cannabispflanzen wird ein Instanzgericht unter Zugrundelegung eines mit dem Wortlaut zu vereinbarenden Maßstabs sicherlich eine „nicht geringen Menge“ i. S. v. § 34 Abs. 1 Nr. 1 lit. c) KCanG annehmen. Bei einer Aufzucht von 1.763 Cannabispflanzen, die hier im Raum stand, scheint ein anderes Ergebnis nicht vertretbar.
Sollten die Strafgerichte die Auslegung des BGH zur „nicht geringen Menge“ übernehmen, verstoßen sie gegen das Analogieverbot, wenn sie das Regelbeispiels des § 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 KCanG im Falle eines 7,5 g übersteigenden THC-Gehalts pauschal bejahen. Eine Auslegung, die sich im Rahmen des Gesetzewortlauts bewegt, muss den Anknüpfungspunkt einer „nicht geringen Menge“ stets von der Tatmodalität abhängig machen, welche die Strafbarkeit konkret begründet. Dies hat das OLG Hamburg in einer kürzlich ergangenen Entscheidung (5 Ws 19/24) leider verkannt. Bei der Tatmodalität des Besitzes lebender Cannabispflanzen (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 lit. c) KCanG) muss dies eben mit einer entsprechenden Menge an lebenden Cannabispflanzen begründet werden. Das ist nicht rabulistisch, sondern Ausdruck der verfassungsrechtlich geforderten strikten Bindung der Rechtsanwendung an den Gesetzeswortlaut.