Kein Verfassungsschutz im Wahlkampf?
Zur Information über die verfassungsschutzrechtliche Neubewertung der AfD und dem Gebot staatlicher Neutralität in der Öffentlichkeitsarbeit
Die AfD wird seit 2021 als Gesamtpartei durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als sog. Verdachtsfall beobachtet. Das OVG NRW hat die Rechtmäßigkeit dieser Beobachtung vor Kurzem bestätigt (OVG NRW, Az.: 5 A 1218.22). Im Oktober dieses Jahres hatte der damalige Präsident des BfV Thomas Haldenwang angekündigt, dass in 2024 und insbesondere noch vor der nächsten Bundestagswahl mit einer verfassungsschutzrechtlichen Neubewertung der AfD und der Veröffentlichung der entsprechenden Einstufung zu rechnen sei.
Jetzt ist jedoch zu vernehmen, dass das BfV zwar zu einer verfassungsschutzrechtlichen Neubewertung gekommen sei, die Öffentlichkeit aber nun doch nicht mehr in 2024 und auch nicht vor der nahenden Bundestagswahl, sondern erst danach über das Ergebnis dieser Neubewertung informieren wolle. Zur Begründung wird vorgebracht, dass die dem Bundesministerium des Inneren und für Heimat (BMI) nachgeordnete Behörde eine verfassungsrechtliche Verpflichtung zur staatlichen Neutralität und Mäßigung in Zeiten des Wahlkampfes treffe. Wegen der zeitlichen Nähe zur vorgezogenen Bundestagswahl sei die Veröffentlichung der Neubewertung als staatlicher „Einfluss auf die politische Wahlentscheidung der Bürgerinnen und Bürger“ nicht zulässig.
Dies überzeugt nicht. Vielmehr ist das BfV – jedenfalls im Falle einer möglichen Hochstufung der AfD zum Beobachtungsfall – sogar dazu verpflichtet, noch vor der Bundestagswahl öffentlich über die verfassungsschutzrechtliche Neubewertung zu informieren.
„Das Bundesamt für Verfassungsschutz informiert die Öffentlichkeit“
Zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder besteht die zentrale Aufgabe des BfV in der (auch verdeckten) Sammlung und Auswertung von Informationen über verfassungsfeindliche Bestrebungen und Tätigkeiten (§ 1 Abs. 1, § 3, § 4 BVerfSchG). Der Umfang der dem BfV dafür zur Verfügung stehenden Befugnisse (§§ 8 ff. BVerfSchG) richtet sich nach dem Ausmaß der Verfassungsfeindlichkeit des jeweiligen Beobachtungsobjekts, bei dem es sich – in engen verfassungsrechtlichen Grenzen – auch um politische Parteien (und deren Teilorganisationen) handeln kann. Eine in Rechtspraxis und Rechtsprechung entwickelte Stufung unterscheidet insoweit zwischen Prüffall (gewisse Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen), Verdachtsfall (tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen) und Beobachtungsfall (gesichert verfassungsfeindlich).
Neben der Sammlung und Auswertung von Informationen kommt dem BfV die weitere wichtige Aufgabe zu, die Öffentlichkeit über ihre Beobachtungen zu informieren. Im Sinne eines kommunikativen „Verfassungsschutzes durch Aufklärung“ dient dies dem Zweck, der Öffentlichkeit eine informierte und kritische Einordnung und Auseinandersetzung mit den jeweiligen Beobachtungsobjekten zu ermöglichen. Neben dem mindestens einmal jährlich erscheinenden Verfassungsschutzbericht (§ 16 Abs. 2 BVerfSchG), um den es hier nicht geht, sieht § 16 Abs. 1 BVerfSchG ausdrücklich vor, dass das BfV „die Öffentlichkeit über [verfassungsfeindliche] Bestrebungen und Tätigkeiten [informiert], soweit hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte hierfür vorliegen, […].“
Weil mit der Information der Öffentlichkeit ein weiterer, neben die Beobachtung selbst tretender, intensiver verfassungsschutzrechtlicher Eingriff in die (Grund-)Rechte der Beobachteten einhergeht, sind die Voraussetzungen dafür hoch. Dies gilt in besonderem Maße, wenn es sich bei dem Beobachtungsobjekt um eine politische Partei handelt, der aus einer Information der Öffentlichkeit über ihre Beobachtung durch den Verfassungsschutz erhebliche Nachteile im politischen Wettbewerb, das heißt in Bezug auf ihre Parteienfreiheit aus Art. 21 Abs. 1 GG erwachsen können.
Tatbestandliche Verhältnismäßigkeit und gebundene Rechtsfolge
Tatbestandliche Voraussetzung des § 16 Abs. 1 BVerfSchG ist zunächst, dass das BfV das Beobachtungsobjekt mindestens als Verdachtsfall („tatsächliche Anhaltspunkte“) einstuft (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 20. April 2015, BT-Drs. 18/4654, S. 32). Zusätzlich müssen diese Anhaltspunkte nach dem Wortlaut des § 16 Abs. 1 BVerfSchG „hinreichend gewichtig“ sein (vgl. auch BVerfGE 113, 63 (81)). Bei dieser zweiten Voraussetzung geht es nicht um gesteigerte inhaltliche Anforderungen an die Verfassungsfeindlichkeit des Beobachtungsobjekts, also nicht um das Erfordernis eines qualifizierten Verdachtsfalls im Sinne einer Annäherung an die Einstufung als Beobachtungsfall. Vielmehr handelt es sich – vergleichbar mit der Konstruktion des § 35 Abs. 1 GewO – um eine im Tatbestand verortete Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Bei der „hinreichenden Gewichtigkeit“ geht es also darum, dass der Zweck des „Verfassungsschutzes durch Aufklärung“ in einem angemessenen Verhältnis zu dem daraus resultierenden Eingriff in die (Grund-)Rechte des jeweiligen Beobachtungsobjekts steht.
Liegen diese tatbestandlichen Voraussetzungen vor, so ist das BfV nach dem klaren indikativen Wortlaut des § 16 Abs. 1 BVerfSchG (vgl. auch den identischen Wortlaut des § 16 Abs. 2 BVerfSchG, der unumstritten die Rechtsfolge einer gebundenen Entscheidung aufweist) zu einer zeitnahen Information der Öffentlichkeit über das Beobachtungsobjekt und die jeweilige Einstufung verpflichtet („Ob“ der Information; a.A. und für ein Ermessen in der Rechtsfolge wohl OVG NRW, Az.: 5 A 1218.22, S. 108 ff.). Lediglich in Bezug auf die Frage, was „zeitnah“ ist („Wann“ der Information), wird dem BfV ein begrenzter Ermessensspielraum einzuräumen sein.
Das BfV ist seiner Aufgabe, die Öffentlichkeit zu informieren – insbesondere im Zusammenhang mit der Beobachtung politischer Parteien – zuletzt mehrfach nachgekommen. So hat das BfV etwa am 15. Januar 2019 über die verfassungsschutzrechtliche Einstufung der AfD Jugendorganisation „Junge Alternative“ und eine extremistische Sammelbewegung innerhalb der AfD (den sog. „Flügel“) jeweils als Verdachtsfall informiert. Am 12. März 2020 veröffentlichte es seine verfassungsschutzrechtliche Neubewertung des „Flügels“ als Beobachtungsfall. Am 1. März 2021 informierte das BfV – innerhalb eines anhängigen Gerichtsverfahrens – über eine verfassungsschutzrechtliche Neubewertung der AfD Gesamtpartei als Verdachtsfall.
Im Kontext der aktuellen Debatte ist es wichtig klarzustellen, dass das BfV dabei stets allein über den Umstand der Beobachtung und die jeweilige verfassungsschutzrechtliche Einstufung informierte. Eine behördliche Praxis, nach der das BfV zugleich auch die Gutachten veröffentlichte, die der jeweiligen (Neu-)Bewertung behördenintern zugrunde liegen, besteht nicht. Sie ist auch nicht von der in § 16 Abs. 1 BVerfSchG geregelten Verpflichtung umfasst. Dass im Zusammenhang mit der öffentlichen Information über die verfassungsschutzrechtliche Bewertung der AfD Jugendorganisation „Jungen Alternative“ und den sog. „Flügel“ das zugrundeliegende Gutachten des BfV bekannt geworden ist, lag daran, dass dieses ohne Zustimmung des BfV in der die Presse enthüllt wurde.
Hypothetische Einstufung der AfD als Beobachtungsfall
Geht man nun hypothetisch davon aus, dass das BfV im Rahmen seiner Neubewertung der AfD zu einer Hochstufung vom Verdachts- zum Beobachtungsfall gelangt ist, so spricht einiges dafür, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 BVerfSchG erfüllt sind.
Mit einer Hochstufung zum Beobachtungsfall wären jedenfalls die erforderlichen tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen und Tätigkeiten gegeben.
Die hinreichende Gewichtigkeit wiederum ergäbe sich – auch unter Berücksichtigung eines behördlichen Beurteilungsspielraums – schon aus dem Umstand, dass es sich bei dem als gesichert verfassungsfeindlich eingestuften Beobachtungsobjekt nicht um irgendeine Organisation, sondern um eine relevante politische Partei handelt. Gerade weil politische Parteien, wie keine anderen Organisationen, auf die „Erlangung von politischer Macht […] zur Durchsetzung konkreter politischer Ziele“ gerichtet sind, läge mit einer als gesichert verfassungsfeindlich eingestuften Partei eine „verallgemeinerbare Gefahrenlage für die freiheitlich-demokratische Grundordnung“ vor (VfG Bbg, Az.: 94/20, Rn. 100). Dies gälte umso mehr, als sich die Bundesrepublik Deutschland unmittelbar vor einer Bundestagswahl befindet und die in Rede stehende Partei in letzten Umfragen bei ca. 18% liegt. Der Umstand der nahenden Bundestagswahl steht der Information der Öffentlichkeit – wie sogleich noch ausführlich zu zeigen sein wird – also nicht entgegen, sondern indiziert sie gerade. Das Interesse der Öffentlichkeit an einer Information über den Umstand, dass eine gesichert verfassungsfeindliche Partei alsbald zur Wahl steht (und die daraus folgende Möglichkeit einer informierten und unter Umständen auch kritischen Wahlentscheidung), würde das Interesse dieser Partei an einer unbeeinträchtigten Teilnahme am politischen Wettbewerb deutlich überwiegen.
Ein Gebot staatlicher Neutralität und Mäßigung im Wahlkampf?
An diesem Ergebnis ändert auch das zuletzt in die Debatte eingeführte Verfassungsgebot staatlicher Neutralität und Mäßigung (im Wahlkampf) nichts. Dabei wird vorgebracht, dass die Information der Öffentlichkeit über die verfassungsschutzrechtliche Neubewertung der AfD (als Beobachtungsfall) in Zeiten des Wahlkampfes gegen die aus der (Chancen-)Gleichheit der Parteien (Art. 21 Abs. 1 GG) folgende Verpflichtung der Regierung verstoße, sich gegenüber allen an einer Wahl teilnehmenden Parteien neutral und gemäßigt zu verhalten. In die tatbestandliche Abwägung des § 16 Abs. 1 BVerfSchG übersetzt soll das wohl heißen, dass jedenfalls im gegenwärtigen Zustand des Wahlkampfes gegen die Information und für eine unbeeinträchtigte Teilnahme (einer möglicherweise gesichert verfassungsfeindlichen Partei) am politischen Wettbewerb entschieden werden sollte bzw. müsste.
Diese Argumentation geht jedoch fehl. Richtig ist noch, dass für die öffentliche Gewalt und insbesondere die Regierung im Rahmen ihrer Informations- und Öffentlichkeitsarbeit ein an Art. 21 Abs. 1 GG geknüpftes Gebot der parteipolitischen Neutralität und Mäßigung gilt (BVerfGE 138, 102). Aus drei Gründen kann dies im Rahmen der „hinreichenden Gewichtigkeit“ in § 16 Abs. 1 BVerfSchG jedoch keine erhebliche Rolle spielen.
Keine verschärften Anforderungen im Wahlkampf
Erstens: Zunächst finden sich bereits für die Annahme, dass das Verfassungsgebot staatlicher Neutralität und Mäßigung gerade in Zeiten des Wahlkampfes besonders verschärfte Anforderungen formuliert, in der Rechtsprechung des BVerfG keine Anhaltspunkte. Insbesondere das in der gegenwärtigen Debatte herangezogene Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Sachen „Öffentlichkeitsarbeit“ (BVerfGE 44, 125) aus dem Jahr 1977 ist unergiebig.
Schon inhaltlich hat die Konstellation des vorgebrachten Urteils kaum etwas mit der Information der Öffentlichkeit durch eine Verfassungsschutzbehörde zu tun. So ging es in besagtem Urteil von 1977 um ein Handeln der Bundesregierung selbst, bei dem in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur Bundestagswahl in einer Reihe von Zeitungsanzeigen mit dem Hinweis auf erfolgreich umgesetzte politische Vorhaben für eine Wiederwahl der amtierenden Regierung geworben wurde – also um unzulässige, durch die Bundesregierung finanzierte Wahlwerbung in eigener Sache.
Darüber hinaus statuierte das BVerfG in diesem Urteil zwar erstmals das Verfassungsgebot der parteipolitischen Neutralität und Mäßigung von Regierungshandeln. Aus dem Umstand allein, dass es dies im Kontext des damaligen Bundestagswahlkampfes tat, folgt jedoch keine Aussage zu einer besonders verschärften Geltung dieses Verfassungsgebotes in Zeiten des Wahlkampfes.
Vielmehr lässt das BVerfG diese Frage auch in seiner Folgerechtsprechung bis heute stets explizit offen (BVerfGE 148, 11 (26)). Dass die Regierung im Rahmen ihrer Informations- und Öffentlichkeitsarbeit zur parteipolitischen Neutralität und Mäßigung verpflichtet ist, gilt also immer, ist – nach gegenwärtigem Stand der Rechtsprechung des BVerfG – in Zeiten des Wahlkampfes aber gerade nicht in besonderem Maße verschärft. Man kann durchaus darüber streiten, ob es sinnvoll ist, dass das BVerfG diese Frage in seiner bisherigen Rechtsprechung offen gelassen hat. Andere Landesverfassungs- und Verwaltungsgerichte haben eine verschärfte Geltung des Gebots parteipolitischer Neutralität und Mäßigung für Zeiten des Wahlkampfes mittlerweile ausdrücklich festgestellt (siehe für Landtags- und Kommunalwahlen etwa RhPfVerfGH, Az.: VGH A 39/14, Rn. 20; ThürVerfGH, Az.: VerfGH 2/14, Rn. 65; VG Göttingen, Az.: 1 A 258/21). Schon wegen der Schwierigkeit, den Wahlkampf einerseits und den alltäglichen Prozess der politischen Willensbildung andererseits zeitlich klar voneinander abzugrenzen, erscheint eine verschärfte Geltung jedoch problematisch (BVerfGE 44, 125 (153)). Auch könnte eine „Verschärfung“ in Zeiten des Wahlkampfes nur allzu leicht als eine „Reduktion“ in Zeiten außerhalb des Wahlkampfes verstanden werden. Dem Gebot der parteipolitischen Neutralität und Mäßigung wäre damit kein Dienst getan.
Kein (partei-)politisches Regierungshandeln des BfV
Zweitens: Das Verfassungsgebot parteipolitischer Neutralität und Mäßigung ist auf die informierende Tätigkeit des BfV gemäß § 16 Abs. 1 BVerfSchG schon im Grundsatz gar nicht anwendbar. Denn bei der Tätigkeit des BfV handelt es sich gerade nicht um ein durch das Verfassungsgebot staatlicher Neutralität und Mäßigung adressiertes (partei-)politisches Regierungshandeln, sondern um eine tatsachenbasierte behördliche Aufgabenwahrnehmung, die der demokratisch legitimierte Gesetzgeber für das BfV in § 16 Abs. 1 BVerfSchG ausdrücklich vorgesehen hat. Davon geht auch das BVerfG aus, wenn es in Bezug auf die Information der Öffentlichkeit durch den Verfassungsschutzbericht feststellt, dass es sich dabei um „kein beliebiges Erzeugnis staatlicher Öffentlichkeitsarbeit [handelt].“ Der Verfassungsschutzbericht ziele „auf die Abwehr besonderer Gefahren […] und stammt von einer darauf spezialisierten und mit besonderen Befugnissen […], darunter der Rechtsmacht zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel, arbeitenden Stelle.“ Insofern gehe „eine Veröffentlichung im Verfassungsschutzbericht über die bloße Teilhabe staatlicher Funktionsträger an öffentlichen Auseinandersetzungen […] hinaus.“ (BVerfGE 113, 63 (77)).
Dass es sich bei der (hier in Rede stehenden) Information der Öffentlichkeit durch das BfV nicht um (partei-)politisches Regierungshandeln, sondern um eine tatsachenbasierte behördliche Aufgabenwahrnehmung handelt, ändert sich auch nicht dadurch, dass die zugrundeliegende Neubewertung der AfD noch unter einem Präsidenten des BfV eingeleitet wurde, der mittlerweile wegen politischer Ambitionen für einen parlamentarischen Konkurrenten der AfD wohl auf eigenen Wunsch von seinen Aufgaben entbunden wurde. Zwar ist der gesamte Vorgang für den öffentlichen Anschein der Neutralität des Verfassungsschutzes als äußerst misslich zu bezeichnen und gibt durchaus Anlass darüber nachzudenken, ob nicht nur für den Wechsel aus der Politik in andere Spitzenämter, sondern auch aus anderen Spitzenämtern in die Politik bestimmte Karenzzeiten angemessen wären. Gleichzeitig ist jedoch – bis zum Vorliegen eines Gegenbeweises – zwingend zu vermuten, dass der ehemalige Präsident des BfV seine Dienstpflichten in rechtskonformer Weise und damit insbesondere politisch neutral erfüllt hat (vgl. § 60 Abs. 2 BBG). Dass Präsidenten des BfV politische Meinungen (und unter Umständen auch politische Ambitionen) haben, macht ihre Amtsleitung nicht zu (partei-)politischem Regierungshandeln. Darüber hinaus hat die nun anstehende Abwägung im Rahmen des § 16 Abs. 1 BVerfSchG gar nicht mehr der ehemalige Präsident zu übersehen, sondern die gegenwärtige (geteilte) Amtsleitung.
Schließlich macht auch der Umstand, dass das BfV den dienstlichen und fachlichen Weisungen des BMI bzw. dessen jeweiliger politischer Leitung unterstellt ist (§ 2 Abs 1 S. 2 BVerfSchG) das Handeln der Behörde nicht zu einem (partei-)politischem Regierungshandeln im Sinne des Verfassungsgebotes staatlicher Neutralität und Mäßigung. Sicherlich bietet ein der Regierung nachgeordneter, (auch) mit verdeckten Mitteln agierender Verfassungsschutz ein gewisses Potential für seine (partei-)politische Instrumentalisierung – die Debatte ist so alt wie der Verfassungsschutz selbst und soll hier nicht erneut geführt werden. Klar ist aber auch: Im Rahmen des fachlichen Weisungsrechts wären parteipolitische und damit eindeutig sachfremde Erwägungen eklatant rechtswidrig. Erneut ist daher – bis zum Vorliegen eines Gegenbeweises – davon auszugehen, dass etwaige Anweisungen aus dem BMI im Zusammenhang mit einer Neubewertung der Verfassungsfeindlichkeit einer politischen Partei und der entsprechenden Information der Öffentlichkeit gemäß § 16 Abs. 1 BVerfSchG stets parteipolitisch neutral erfolg(t)en.
Keine Beeinträchtigung der (Chancen-)Gleichheit der Parteien
Drittens: Selbst wenn man annähme, dass das verfassungsrechtliche Gebot parteipolitischer Neutralität und Mäßigung auch auf die verfassungsschutzbehördliche Tätigkeit der Information der Öffentlichkeit nach § 16 Abs. 1 BVerfSchG Anwendung findet, läge in der oben angenommenen hypothetischen Konstellation einer Information über die Hochstufung der AfD zum Beobachtungsfall für sich noch keine für das Neutralitätsgebots relevante Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 21 Abs. 1 GG. Denn eine Beeinträchtigung der (Chancen-)Gleichheit ergibt sich nicht schon daraus, dass eine Partei wegen der öffentlichen Information über ihre gesicherte Verfassungsfeindlichkeit (selbst zu verantwortende) Nachteile im politischen Wettbewerb erleidet.
Eine beeinträchtigende Ungleichbehandlung im Sinne des Gebots parteipolitischer Neutralität und Mäßigung käme vielmehr nur dann in Frage, wenn der BfV mehrere für die nahende Bundestagswahl vergleichbar relevante Parteien als verfassungsschutzrechtliche Verdachts- oder Beobachtungsfälle einstufen, gleichwohl aber nur über einen dieser Fälle gesondert informieren würde.
Kein anderes Ergebnis bei Ermessen auf Rechtsfolgenseite
Im Übrigen wäre eine Information der Öffentlichkeit über eine hypothetische verfassungsschutzrechtliche Einstufung der AfD als Beobachtungsfall noch vor der kommenden Bundestagswahl auch dann nicht nur möglich, sondern sogar geboten, wenn man annähme, dass dem BfV auch hinsichtlich des „Ob“ einer solchen Information in § 16 Abs. 1 BVerfSchG auf Rechtsfolgenseite ein Ermessen zustünde.
Die dann eben auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung stattfindende Abwägung zwischen dem Interesse an einer Information der Öffentlichkeit über den Umstand, dass eine gesichert verfassungsfeindliche Partei alsbald zur Wahl steht einerseits und dem Interesse dieser Partei an einer unbeeinträchtigten Teilnahme am politischen Wettbewerb andererseits, könnte nicht nur, sondern müsste wegen der verallgemeinerbaren Gefahrenlage für die freiheitlich-demokratische Grundordnung wohl (iSe. Ermessensreduzierung auf Null) zwingend zugunsten einer Information der Öffentlichkeit ausgehen.
Auch hier würde ein Gebot staatlicher Neutralität und Mäßigung aus den oben genannten Gründen in einer Abwägung auf der Rechtsfolgenseite keine (erhebliche) Rolle spielen.
Fazit
Sollte das BfV im Rahmen einer verfassungsschutzrechtlichen Neubewertung der AfD zu deren Hochstufung zum Beobachtungsfall gelangt sein, so ist es aus § 16 Abs. 1 BVerfSchG verpflichtet, zeitnah und jedenfalls noch vor der kommenden Bundestagswahl darüber zu informieren. Dasselbe, wenngleich auf anderer und hier nicht weiter zu vertiefender rechtlicher Grundlage, würde übrigens auch dann gelten, wenn das BfV im Rahmen einer Neubewertung zu einer verfassungsschutzrechtlichen Unbedenklichkeit der AfD gelangt ist und die Beobachtung mittlerweile eingestellt hat.
Die Information der Bürgerinnen und Bürger über die (mögliche) Verfassungsfeindlichkeit einer zur Bundestagswahl stehenden Partei, ist keine Beeinträchtigung des demokratischen Wettbewerbs, sondern die Gewährleistung seiner Voraussetzungen!
Die Autoren danken Prof. Dr. Tristan Barczak für einen gewinnbringenden Austausch während der Arbeiten am Text.
Danke für den Beitrag! Ich stimme der Argumentation ausdrücklich zu und hoffe, dass der Beitrag auch beim BfV zu einem Überdenken der bisherigen Position führt!
Ihre Argumentation ist überzeugend, und z.B. auch hier wird das Informationsinteresse der Öffentlichkeit als prioritär betrachtet:
> taz.de/Verfassungsschutzeinstufung-der-AfD
Die Gründe der “Zurückhaltung” des BfV könnten allerdings eher banaler Natur sein: “Anders als es zwischenzeitlich kolportiert wurde, sei das Gutachten noch gar nicht fertig. „Bislang liegt noch kein neues Gutachten zur Einschätzung der AfD durch das Bundesamt für Verfassungsschutz vor“, sagte eine Sprecherin.” [des BMI]
Nehmen wir das als gesicherte Aussage, ist hypothetisch eher anzunehmen, dass das BfV weiterhin (noch) nicht in der Lage ist, ausreichende Anhaltspunkte für mehr als eine Beobachtung der AfD vorzubringen.
Ein derartiges Eingeständnis vor der Bundestagswahl wäre der AfD eher willkommen. Wer der Partei keinen Erfolg wünscht, sollte mit der derzeitigen Nicht-Erkenntnislage glücklicher sein, denn sie erlaubt weit gehende Mutmaßungen über den Inhalt eines kommenden Gutachtens.
Für Zurückhaltung des BfV bzw. des BMI in Wahlkampfzeiten dürfte das Erfordernis sprechen können, dass „sichergestellt ist, dass ein Parteiverbots- oder Finanzierungsausschlussverfahren nur zu Zwecken des präventiven Verfassungsschutzes und nicht auch zur Ausschaltung unliebsamer politischer Konkurrenz eingesetzt werden kann (vgl. BVerfGE 144, 20 )“ – so zuletzt BVerfG, Urt.v.23.01.2024 – 2 BvB 1/19 Rn. 261. Zwar geht es bei § 16 BVerfSchG um Verfassungsschutz durch Aufklärung der Öffentlichkeit, der Sachzusammenhang mit einem Verbotsantrag bzw. angestrebtem Beschluss im Bundestag, einen Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der AfD beim BVerfG zu stellen, ist aber offensichtlich (auch wenn die Erkenntnisse des BfV nur ein – ggf. gewichtiges – Indiz für die Begründetheit solchen Antrages sind). Abgesehen davon, dass nicht bekannt ist, zu welchen Ergebnissen das BfV kommt, dürfte auch verfassungspolitisch eher klug sein, sich auf dieser Ebene nicht unnötig (im Wahlkampf) angreifbar zu machen (der AfD keine politische Bühne zu bieten), und das Ergebnis eines BfV-Gutachtens erst nach der Bundestagswahl, dann aber unverzüglich, zu veröffentlichen.
Unabhängig von Aufklärung der Öffentlichkeit (auch wenn die Mitglieder des Bundestages Teil derselben sind) besteht der generelle Informationsanspruch des Bundestages und seiner Mitglieder bzw. die Pflicht der Bundesregierung, „dem Bundestag und den einzelnen Abgeordneten die für ihre Tätigkeit nötigen Informationen auf rasche und zuverlässige Weise zu verschaffen“ (st.Rspr. seit BVerfGE 13, 123, 125, zuletzt BVerfGE 147, 50 Rn. 195). Zur Tätigkeit des Bundestages und seiner Abgeordneten gehört die Wahrnehmung ihres gesetzlichen Rechts, einen Parteiverbotsantrag zu stellen und damit auch vorzubereiten. Zudem besteht eine ausdrückliche Datenübermittlungsbefugnis für das BfV gem. § 20 Abs.1 Nr 4 BVerfSchG im Hinblick auf einen Parteiverbotsantrag („Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten an eine inländische öffentliche Stelle übermitteln, soweit dies auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte im Einzelfall zum Schutz der in § 19 Absatz 3 genannten Rechtsgüter erforderlich ist (…) 4. zur Vorbereitung oder Stellung eines Antrags nach Artikel 21 Absatz 4 des Grundgesetzes“; das gilt gem. § 11 Satz 1 MADG für den MAD entsprechend, auch für den BND besteht mit § 11b Abs.1 Satz 1 iVm Abs.1 Satz 2 Nr.4 BNDG solche Befugnis); die Länder sind zur Zusammenarbeit verpflichtet (§ 1 Abs. 2 und 3 BVerfSchG). Zu den in § 19 Abs.3 BVerfSchG genannten Rechtsgütern gehört die freiheitliche demokratische Rechtsordnung. Die Datenübermittlungsbefugnis darf die Tätigkeit des Bundestages bei der Wahrnehmung seines gesetzlichen Rechtes, einen Verbotsantrag zu stellen, nicht behindern, und auch nicht die Vorbereitung dafür, muss nach ihrem Sinn und Zweck also sowohl für den Fall gelten, dass der Bundestag die Stellung solchen Antrages bereits beschlossen hat, als auch bereits für den Fall der Vorbereitung solchen Beschlusses.
Die Bundesregierung muss danach an den Bundestag liefern – übrigens unabhängig davon, welche politische Meinung die Bundesinnenministerin und der Bundeskanzler zu einem Parteiverbotsantrag haben mögen.
Ich finde die Argumentation von Haldenwamg absurd, abstrus und lustig.
1.) Wie ist der Zeitraum “Wahlkampf” definiert?
2.) Hat der Bundeskanzler noch keine Vertrauensfrage gestellt
3.) Hat er sie noch nicht verloren
und
4) Hat der Bundespräsident das Parlament noch nicht aufgelöst und einen Wahltermin angesetzt.